Groß war die Aufregung Anfang des Jahres, als feststand: Es geht zum Segelfliegen nach Puimoisson in die südfranzösischen Seealpen! Diese Nachricht war für Timo Angenendt (aus Neukirchen-Vluyn) vom Verein für Segelflug Krefeld (VfS Krefeld) wie Weihnachten und Ostern zusammen. Nachdem er sich Ende 2021 für den Nordrhein-Westfälischen Landesleistungskader der Junioren qualifiziert hatte, wurde schnell klar, dass er das alljährliche Trainingslager in den französischen Seealpen unbedingt besuchen wollte. Denn diese Region zeichnet sich schon früh im Jahr durch hervorragende Segelflugbedingungen aus.
Doch bevor die 1150 Kilometer lange Reise von Krefeld aus angetreten werden konnte, mussten umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden. So wurde das vereinseigene Hochleistungssegelflugzeug vom Typ Discus 2b (D-8266), welches der VfS Krefeld seinem Nachwuchspiloten für diese Trainingsmaßnahme anvertraute, mit einer orangenen Warnfolie beklebt. So ist es Vorschrift, damit andere Piloten in der Luft das weiße Flugzeug vor den schneebedeckten Bergen erkennen können. Außerdem wurde eine Sauerstoffanlage in das Flugzeug eingebaut, denn in den zu erwartenden Flughöhen von bis zu 6000 Metern reicht der atmosphärische Sauerstoff nicht mehr aus, um einen klaren Kopf im Cockpit zu behalten. Was nicht fehlen durfte ist eine intensive Kartenkunde: Anders als am flachen heimischen Niederrhein zeichnet sich das mediterrane Gebiet zwischen Nizza und Grenoble durch eine sehr schroffe und bergige Landschaft aus. Da hilft es ungemein, wenn die Namen und Höhen der Berge, Pässe und Flugplätze bekannt sind. Für eine solche Vorbereitung hilft heutzutage ein Segelflugsimulator mit dem Timo die gesamte Region vorher schon x-mal abgeflogen hat. Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, konnte es los gehen zum beschaulichen Flugplatz Puimoisson, der nahe dem Lac de Sainte-Croix, zwischen unzähligen der weltbekannten Lavendelfelder liegt. Planmäßig erhielten dort alle Junioren erst einmal eine Alpenflugeinweisung im Doppelsitzer. Danach konnte es einsitzig im Discus 2b losgehen. Allerdings zunächst stets den Trainern hinterher, um das Gelände richtig kennen zu lernen. Der Flug in atemberaubender Kulisse, wurde dabei zu Beginn immer wieder durch Wissensabfragen der Trainier per Funk unterbrochen: "Wie heißt der Berg links? Wie hoch ist der Pass dort? Wo ist das nächste Außenlandefeld? Welchen Flugplatz habe wir in Gleitreichweite?" Denn wenn die Aufwinde einmal nicht mehr ausreichen, muss jeder Segelflieger unweigerlich außenlanden. Da landbaren Felder in Frankreich nicht so zahlreich sind, kann das in der schroffen Landschaft schnell ein Problem werden. Aber alle Landemöglichkeiten sind fein katalogisiert und kartografiert an Bord verfügbar – klar, denn die Sicherheit steht an erster Stelle!
Direkt am ersten Tag zeigte sich das südfranzösische Wetter von seiner besten Seite. Die sonnenangetriebenen Aufwinde, die Thermik, steigt von den angestrahlten Bergflanken mit einer Stärke auf, die jedes Segelfliegerherz höherschlagen lassen. So ging es schnell vom Startort Puimoisson über die Provence in die Berge, vorbei am Nationalpark Écrins, durch das obere Durancetal bis zur italienischen Grenze am Mont Chaberton. Vielleicht nicht die größte oder schnellste Strecke für Timo, aber definitiv eine der lehrreichsten. Am nächsten Flugtag konnte dann ein ganz besonderes meteorologisches Phänomen erkundet werden: Eine Welle. Diese entsteht, wenn starker Wind über einen Gebirgszug weht und die Luft dabei zum Schwingen angeregt wird - ähnlich dem Wasser, was in einem Bachlauf über einen Stein strömt. Entlang dieser Wellenaufwinde kann man bis in große Höhen steigen. So auch an diesem Tag. Jedoch war in 5500 Metern Schluss, darüber beginnt der Luftraum für "Airliner". Die zuvor eingebaute Saustoffanlage erfüllt zischend ihren Dienst und so konnte Timo sich dem Ausblick auf den 125 Kilometer entfernten Mont Blanc hingeben und die ruhige Luft genießen. In den folgenden Tagen wurde die Provence umfassend aus der Luft erkundet, inklusive dem Radfahrerberg Mont Ventoux und der Verdonschlucht. Nach zwei Wochen Flugtraining im Segelflugparadies, aber auch intensivem Theorieunterricht, stand leider schon die Heimreise an. Acht Flüge, 45 Flugstunden, 2800 Flugkilometer und einen riesigen Erfahrungsschatz hatte Timo im Gepäck. Und für ihn steht fest: Es wird nicht das letzte Mal Südfrankreich gewesen sein. Zu viel gibt es dort noch aus der Luft zu entdecken, und noch viel mehr zu lernen.